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Porsche 356 made by Reutter

Porsche 356 made by Reutter

Ein bisschen ungerecht ist es schon, wenn bei einem eingespielten Team die einen weltberühmt sind und die anderen nur Spezialisten bekannt. Wagen wir einen Kalauer: Was im Derbysport das Ross ohne Reiter, das wäre im Sportwagenbau Porsche ohne Reutter.

„Porsche 356 made by Reutter“ – so heißt die gründliche Hommage, die der Insider und Reutter-Nachfahre Frank Jung im Delius-Klasing-Verlag der Firma seiner Vorfahren macht, die als innovativer und ideenreicher Karosseriebetrieb dem klassischen Porsche in den Anfangsjahren das Blechkleid geschneidert hat. Es war mehr Vernunftehe als Liebesheirat, die Porsche und Reutter zusammengeführt hat – nur dass die eine Firma jeder kennt, während die andere ein eher unauffälliges Dasein führt: doch keineswegs das der grauen Maus, sondern das der grauen Eminenz.

Reutter ist sogar älter als Porsche, genau ein Vierteljahrhundert. Gegründet wurde das Stuttgarter Karosseriewerk 1906, zur Pionierzeit des Automobilbaus. Die intensive Zusammenarbeit mit Porsche begann gleich mit Gründung dieser Firma (also 1931) und sie war ertragreich seit Beginn. Es begann mit dem TYP 7, der noch so gar nichts von dem hatte, was heute einen Porsche ausmacht. Und das ist nun einmal jener Flitzer mit den sexy Rundungen, der als „356“ zum Sinnbild rasanter Versuchung geworden ist.

Frank Jung erzählt akribisch die Geschichte von Reutter nach, die übrigens mit noch einem weiteren Mythos untrennbar verbunden ist. Der Spezialist für auffallende Eleganz war auch an der Konstruktion und Entstehung der Sportwagen-Ikone Porsche 911 beteiligt. Das gründlich recherchierte Buch bietet mit seinen zahlreichen Abbildungen nicht nur tiefe Einblicke in eine gut hundertjährige Tradition, sondern ebenso in das Innerste der Firma: die Konstruktionsbüros, die Werkstätten, die Chefetage. Spannend ist dabei vor allem die minuziöse Dokumentation der technischen Details, von der Planungsphase bis zum Fertigungsvorgang. Man wird gleichsam Zeuge des Prozesses, bei dem er entsteht, der Porsche made by Reutter.

Buchinformationen:

  • Frank Jung
  • Porsche 356 made by Reutter
  • 296 Seiten, 63 Farbbilder, 393 s/w-Fotos, 198 Zeichnungen und Dokumente
  • 219 x 247 mm, gebunden mit Schutzumschlag
  • Delius-Klasing-Verlag
  • € 29.90, € 30.80 (A), sFr 40.90
  • ISBN 978-3-7688-3270-0

Kommentar:

Wer glaubt, Reutter habe ausschließlich für Porsche gearbeitet, der irrt! Sicher, die Verbindung zwischen diesen beiden Häusern ist zu großem Ruhm und auch etwas Ehre gelangt, doch Frank Jung hat weitaus mehr ausgegraben, als "nur" die Dokumentation einer gemeinhin offenkundigen Liasion, die von erheblichen Höhen und Tiefen geprägt war.

Sicher, der 356 wurde dort über Jahre gebaut. Auch die Arbeiten, die man für Ferdinand Porsche im Zuge der Volkswagenentwicklung geleistet hat, wurden vom Autor sauber dokumentiert: sowohl der VW38 als auch der VW60 entstanden in der Stuttgarter Karosserieschmiede. Erste Berührungspunkte jedoch gab es zwischen dem genialen Konstrukteur und Reutter bereits durch die Tätigkeit Ferdinand Porsches für die Daimler-Motoren-Gesellschaft und die Wanderer-Werke. Doch damit nicht genug des Exkurses Jungs weitab vom 356er, denn auch die zweifelhafte Rolle Reutters im Zweiten Weltkrieg kommt offen zur Sprache. Der Bau von Rüstungsgütern unter Einsatz Kriegsgefangener beispielsweise oder die Reparaturen für den Fuhrpark der Wehrmacht sind jede Information wert. Wer hätte gedacht, daß die Firma im Herzen der baden-württembergischen Landeshauptstadt Flugzeugrümpfe ohne Kanzel für die Messerschmitt ME-410 und ME-412 im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums (RLM) gebaut hat?

Auch nach dem Krieg mußte man sich mangels Porsche-Aufträgen anderweitig umsehen. So kamen Aufträge von Kaelble für Fahrerhäuser und von Fahr für Kühlerhauben, Schleppersitzschalen und Kotflügel. Reparaturen von Straßenbahnen und der Bau von Bussen auf Opel-Blitz-Fahrgestellen sicherten dem Werk die Existenz im mühsamen Nachkriegs-Aufbau.

Es stellt sich immer wieder die Frage, woher Frank Jung all diese Informationen beschafft hat, denn das Buch ist erstaunlich gut und fundiert recherchiert. Jung zeigt auf eindrucksvolle Weise die Beziehung zwischen Porsche und Reutter auf, die sich im Laufe der Jahre zu einer wahren Abhängigkeit des Karosseriewerks zum Auftraggeber auswuchs. Porsche konnte beinahe nach Belieben die Spielregeln der Zusammenarbeit bestimmen und nötigte den Blechkünstlern immer höhere Karosserie-Ausstöße und immer niedrigere Preise ab, so daß der Betrieb jahrelang an seiner Kapazitäts- und Finanzgrenze arbeitete. 1963 schließlich übernimmt Porsche Reutter und gründet Recaro, welches als Akronym für REutter CAROsserie steht und bis heute Sitze und Sitzbeschläge für Porsche und die Automobilindustrie herstellt.

Inhaltlich geht Jung fast ausschließlich auf Technisches ein. Persönliches aus dem Familienleben der Reutters bleibt, bis auf Auszüge aus der Firmenkorrespondenz, weitgehend unberücksichtigt. In diesem Zusammenhang ist auch der Buchtitel positiv irreführend, denn der Autor hat alle Typen, die Reutter je für Porsche gebaut hat, berücksichtigt. Der Abdruck zahlreicher Konstruktionszeichnungen vermittelt einen Einblick in die Komplexität eines Fahrzeugs, doch die wahren Perlen stecken in den wunderbar stimmungsvollen Bildern, die teilweise aus Privatarchiven ehemaliger Reutter-Beschäftigter stammen. Alleine dieser Schatz macht das Buch zu einem wahren Kleinod. Die fotografische Dokumentation der Entstehung eines Porsche 356 von der Entnahme der Bleche aus dem Grob- und Feinblechlager bis zur Endkontrolle rundet ein rundum gelungenes Stück deutsche Automobilgeschichte ab. (mdr)

   
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